Helene Kulhawy

Foto: Katharina Weber



  • Name: Helene Kulhawy

  • Geburtstag: 14. Januar 1938

  • Geburtsort: Moers

  • Beruf: Bergmannsfrau

  • Wohnort: Dorsten


Helene Kulhawy ist Bergmannsfrau. Seit 37 Jahren wohnt sie mit ihrem Mann Kurt und ihrem Sohn in der Bergbausiedlung „Fürst Leopold“ in Dorsten. Vorher haben sie 20 Jahre lang in Herne gelebt, wo Kurt Kulhawy bis zur Schließung der Zeche „Friedrich der Große“ gearbeitet hat. Gebürtig kommt sie aus Moers, und dort wuchs sie auch auf, in einer Zechenkolonie. Ihr Vater war Bergmann. „So ist man mit dem Bergbau groß geworden.“

Die Straßennamen der Siedlung erinnern an die Zeit des aktiven Steinkohlenbergbaus: „Glück-Auf-Straße“, „Hauerstraße“ und „Schachtstraße“. In der Nähe liegt der „Glückauf-Grill“ – in einem Gebäude, das unter Denkmalschutz steht. Seit 40 Jahren ist der Imbiss fester Bestandteil der Siedlung: Als die Zeche „Fürst Leopold“ noch aktiv war, kamen die Bergleute nach der Schicht vorbei, um Currywurst Pommes zu essen, erzählt die Besitzerin des Imbisses. Auch heute noch kommen einige Stammkunden regelmäßig vorbei.

So ist das Leben in einer Bergbau-Siedlung

Das Haus von Familie Kulhawy steht gut einen Kilometer von der Zeche „Fürst Leopold“ entfernt. Die Fassade ist mit braunen Klinkern verziert. Hinter dem Gebäude ist ein kleiner Garten, wie bei den Nachbarhäusern auch.

Das Wohnhaus von Familie Kulhawy in der Bergbausiedlung in Dorsten. Foto: Katharina Weber

In ihrer Wohnung erinnert vieles an den Bergbau: Eine aus Holz geschnitzte Heilige Barbara wacht am Fenster, Bergmannsfiguren und eine Spieluhr stehen in einer Vitrine. An der Wand hängt ein Relief aus massiver Kohle, auf dem ein Bergmann unter Tage mit einem Grubenpferd zu sehen ist.

Im Wohnzimmer von Familie Kulhawy steht eine aus Holz geschnitzte Heilige Barbara – die Schutzpatronin der Bergleute. Foto: Katharina Weber

„Mein Vater hat noch mit Pferden unter Tage gearbeitet“, erinnert sich Kulhawy. „Er war damals sehr traurig, als das letzte Grubenpferd aus der Grube gefahren wurde.“ Die Pferde seien immer gut behandelt worden. Sie hatten unter Tage genauso eine eigene Box, wie die Pferde über Tage. Allerdings kamen sie nur selten aus der Grube heraus und „die Pferde wurden blind, wenn sie das Tageslicht sahen, denn sie waren ja nur das schummrige Licht unter Tage gewohnt“, erklärt sie.

Ein Bild aus Kohle hängt im Wohnzimmer von Familie Kuhlawy. Foto: Katharina Weber

„Man hat früher praktisch aus dem Garten gelebt“

Tiere haben auch in der Bergbausiedlung immer eine große Rolle gespielt. Die Nachbarn von Familie Kulhawy hatten früher ein Schwein und Hühner. „Dann wurde auch richtig ein Schlachtfest gemacht und der eine oder andere bekam ein Stück Wurst ab. Wie das früher eben so war.“ Familie Kulhawy hatte mehrere Jahre lang Zwerghühner. „Aber wir haben unsere Tiere nie gegessen“, betont Helene Kulhawy. „Unsere Tiere hatten alle Namen und wir haben gesagt, ‚Alles was bei uns einen Namen hat, wird nicht gegessen‘.“

Was aber gern gegessen und im Garten geerntet wurde, waren Pflaumen, Äpfel, Kartoffeln, Salat, Sellerie und Suppengemüse. „Mein Mann hat bei uns im Garten einen Kirschbaum und einen Nussbaum gepflanzt. Der war so winzig und jetzt ist er riesengroß“, erzählt die 80-Jährige. „Es war Tradition, dass man einen Garten hat und aus dem Garten praktisch gelebt hat.“

Früher gab es einige Gerichte nur zu bestimmten Jahreszeiten. Grünkohl gab es beispielsweise nur im Winter. Der musste gefroren sein, damit die Bitterstoffe nicht so stark waren, erinnert sie sich. „Heute geht man im Supermarkt an die Truhe und holt sich ’ne Tüte. Da kräht kein Hahn mehr nach.“ Sie und ihre Familie pflanzen heute nichts mehr selbst im Garten an. Auch die Nachbarn haben mittlerweile fast alle damit aufgehört.

Tipps für Haushalt und Garten bekam Helene Kulhawy immer von ihrer Mutter. Wenn ihr Mann mal später von der Arbeit kam und sie mit dem Essen auf ihn wartete, konnte sie das nicht einfach in die Mikrowelle stellen. Diese technische Errungenschaft gab es zu der Zeit noch nicht. Der Trick ihrer Mutter, um Kartoffeln warm zu halten: „Früher habe ich ein sauberes Küchentuch in den Topf gelegt, die Kartoffeln in die Couch-Ecke gestellt und ganz viele Kissen drum herum gelegt. Das war dann sozusagen die Warmhalteplatte. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“

Auch das Wäsche waschen war früher längst nicht so einfach wie heute. Sie erinnert sich, wie das noch zu ihrer Kindheit war: Einmal in der Woche brachte ihr Vater seine Bergmannskleidung zum Waschen mit nach Hause. „Das musste meine Mutter noch per Hand mit einem Waschbrett machen. Später hatte sie dann eine Waschmaschine mit Wassermotor. Da war sie sehr glücklich“, erzählt Kulhawy. Sie habe es noch genau vor Augen, wie die Mutter draußen stand, die Wanne auf einem Schemel und das Waschbrett darin. Auch das könne man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Eine Luftaufnahme vom ehemaligen Zechengelände Fürst Leopold in Dorsten. Foto: Hans Blossey

Nicht nur als Hausfrau, sondern auch als Bergmannsfrau hatte sie es nicht immer leicht. In den 57 Ehejahren hat sie ihrem Kurt immer wieder den Rücken freigehalten. Als er nach der Lehre zur Bergfachschule in Recklinghausen und Bochum ging, hatte er noch eine Sechs-Tage-Woche und ein geringes Gehalt, erinnert sie sich. „Wir sind ausgekommen, aber es war nicht viel.“ Je weiter die Ausbildung ihres Mannes dann fortgeschritten war, umso mehr habe er verdient. Kurt Kulhawy hat sich vom Berglehrling und Bergmann zum Steiger und Reviersteiger hochgearbeitet und war zum Ende seiner Karriere Fahrsteiger auf der Zeche „Fürst Leopold“.

Die ehemalige Zeche „Fürst Leopold“ in Dorsten, März 2018. Fotos: Katharina Weber

 

„Kohle war eine schöne Wärme“

Familie Kulhawy hat ihr Haus in Dorsten über eine Wohnungsbaugesellschaft bekommen. Mitarbeiter einer Zeche hatten oft bessere Chancen, an Häuser und Wohnungen zu kommen. Aber das war nicht der einzige Vorteil: Außerdem bekam die Familie sechs Tonnen Hausbrandkohle pro Jahr. „Als mein Mann später Fahrsteiger und Angestellter war, bekam er die Kohle bis in den Keller geliefert. Vorher musste man die Kohle selbst in den Keller rein schippen.“

Über eine Rutsche wurden die Kohlen in den Keller geschüttet. Mit der Renovierung des Hauses haben sie die Beheizung auf Gas um gestellt. Aber auch das wurde von der Zeche vergütet. „Aber die Kohle war eine schöne Wärme. Das war so heimelig. Eine ganz andere Wärme, wie als wenn wir jetzt mit Gas heizen. Das kann man gar nicht glauben. Die Heizungen sind die gleichen und trotzdem kommt ’ne andere Wärme raus“, schwärmt Kulhawy.

Hausbrandkohle im Keller eines Hauses. Foto: Volker Hartmann/ Funke Foto Services

Als Kurt und Helene Kulhawy frisch verheiratet waren, hat sich der Bergmann unter Tage schwer verletzt und musste für 14 Tage ins Krankenhaus. Er hatte einen Transportschlitten in den Rücken bekommen, womit unter Tage Material transportiert wird. Der Schlitten sei wie ein Geschoss heruntergesaust und in seinen Rücken gefahren. Ein paar Tage stand auf der Kippe, ob er querschnittsgelähmt werden würde oder wieder gehen könne.

Trotzdem sei ihr Mann immer gerne zur Zeche gegangen und nie schlecht gelaunt nach Hause gekommen, erzählt Helene Kulhawy. Er sei sehr verantwortungsvoll und engagiert gewesen. „Manchmal, wenn er heim kam, hatte er seine Tasche noch in der Hand und dann klingelte schon das Telefon für ihn. Er war immer mit der Zeche verbunden. Sein Chef hat mal gesagt ‚Das kann doch gar nicht sein. Du bist wirklich 24 Stunden für die Zeche da.‘ Obwohl er frei hatte.“

Für Helene Kulhawy wäre die Arbeit unter Tage nichts, wie sie bei einer Grubenfahrt feststellen musste. Das sei sehr anstrengend gewesen. „Ich weiß noch, als wir raus kamen und mir richtig schlecht war. Da habe ich gesagt: Nie im Leben möchte ich da unter Tage arbeiten!“ Allein die Vorstellung, dass das ganze Gebirge über einem sei, würde ihr zu viel werden.

„Bergmannsvereine waren das gesellige Leben“

Frauen haben auch nie auf der Zeche gearbeitet, sagt Kulhawy. „Die waren nur auf der Zeche, wenn Lohntag war, und haben aufgepasst, dass die Männer mit dem Geld nicht direkt in die Kneipe gingen.“ Ihr Vater habe nicht einen Pfennig vertrunken und das Geld immer direkt nach Hause zu ihrer Mutter gebracht. Ihr Mann habe schon eher mal was getrunken und auch Schnaps versteckt. Vor allem, als er noch auf „Friedrich der Große“ in Herne war.

Zwei Grubenlampen und eine Bergmannskappe bei einer Gedenkfeier für die Heilige Barbara am 4. Dezember. Foto: Lutz von Staegmann / Funke Foto Services

Dort war Kurt Kulhawy auch lange Zeit im Bergmannsverein aktiv. Bis zum Jahr 2015 sogar Vorsitzender. „Bergmannsvereine waren einfach das gesellige Leben. Da wurde die Tradition hochgehalten. Das hat dann nochmals den Zusammenhalt gestärkt“, sagt Kulhawy. Durch Zechenschließungen lösten sich mit der Zeit auch viele Bergmannsvereine auf. Einige Vereine hätten dann auch angefangen, Frauen aufzunehmen. Das habe hin und wieder zu Reibereien geführt. „Aber das war eben aus der Not heraus geboren, weil es immer weniger Leute gab und der Verein immer kleiner wurde“, sagt Kulhawy.

Einige Vereine hätten sogar das Steigerlied angepasst und noch eine Strophe hinzugefügt: „,Frauen sorgen für die Familie und hacken die Petersilie‘ und all so einen Quatsch haben die dann gemacht“, sagt Kulhawy. Das habe einigen Leuten überhaupt nicht gefallen. Das Steigerlied sei für die Bergleute wie eine Art Nationalhymne gewesen. „Auf Schalke machen die das ja sogar immer noch. Da wird das Lied immer noch gespielt und gesungen“, sagt Kulhawy.

Dass die Tradition bei Schalke immer noch fortgeführt wird, weiß Familie Kulhawy ganz genau, denn ihr Herz schlägt für Königsblau. Im Flur und im Wohnzimmer hängen Bilder und ein Lebkuchenherz des Vereins und auf dem Sofa sitzt ein Schalke-Bär. „Den halte ich bei wichtigen Spielen immer ganz fest und drücke der Mannschaft so die Daumen“, sagt Helene Kulhawy. Schalke ist ein Traditionsverein aus dem Bergbaumilieu. Noch heute gibt es den Begriff „Schalker Knappen“. Auf der Zeche gebe es heute keine Knappen und Steiger mehr. „Heute heißen die Ingenieure. Eigentlich schade. Der alte Begriff geht verloren. Die Tradition geht verloren“, sagt Kulhawy.

Wenn Schalke spielt, sitzt Helene Kulhawy vor dem Fernseher und hält den Schalke-Bär ganz fest in der Hand. Foto: Katharina Weber

Sie findet es auch sehr schade, dass die letzte Steinkohlenzeche im Ruhrgebiet Ende 2018 schließt. „Wir haben eigentlich genug und auch gute Kohle.“ Auch die Sicherheit der Bergleute sei hier zehnmal höher als beispielsweise in China. Dann werde die ganze Kohle durch die halbe Welt geschifft und nach Deutschland gebracht, weil sie günstiger ist. „Und bei uns gehen die Arbeitsplätze verloren.“ Das sei auch der Auslöser für das große Geschäftesterben gewesen. „Die kleineren Geschäftsleute müssen dafür herhalten, dass der Bergbau stirbt“. Das sei in Herne so gewesen und sei jetzt auch in Dorsten so. „Und die Traditionen sterben. Das finde ich so schade. Das war ja eigentlich immer eine schöne Tradition.“